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Energiegemeinschaften sind gesetzlich ermöglicht – und nun?

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Adriana Helga

Das kürzlich beschlossene Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz bringt die gesetzlichen Rahmenbedingungen, Strom gemeinschaftlich zu produzieren, zu speichern und über die Grundstücksgrenzen hinweg in der Nachbarschaft zu teilen. Energieexperte Roland Kuras, Geschäftsführer der PowerSolution Energieberatung, berichtet im Interview über den Status Quo, aktuelle Herausforderungen und die nächsten Schritte.

Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) hat die notwendige Zweidrittelmehrheit bekommen und gilt als beschlossen. Wo stehen wir aktuell?

Roland Kuras: Die Gründung von Erneuerbaren Energiegemeinschaften (EEG) und Bürgerenergiegemeinschaften (BEG) ist mit dem 28.7.2021 möglich geworden, als das EAG in Kraft getreten ist. Offene Punkte welche die operative Abwicklung betreffen, sollten bis Ende des Jahres geklärt sein.

Wie steht Österreich bei der Entwicklung des Themas im EU-Vergleich?

Roland Kuras: Österreich ist in den letzten Jahrzehnten von einem Vorzeigeland schrittweise zurückgefallen. Leider gehören wir zu einem der wenigen Länder, in denen die CO2 Emissionen sogar zugenommen haben. Während in der EU die Emission um rund 24 Prozent gesunken sind, sind jene in Österreich sogar um 1,3 Prozent gegenüber 1990 gestiegen. Wir müssen unsere Bemühungen zur Reduktion der Treibhausgase daher deutlich verstärken. Das EAG ist eine wichtige rechtliche Basis dafür. Jetzt geht es um die Umsetzung. Hier ist es notwendig Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung zu leisten. Nur durch einen massiven Ausbau von alternativen Erzeugungsanlagen können wir die Energiewende schaffen. Im Vergleich zu Deutschland haben wir noch wenige Energiegemeinschafen. Dort gibt es bereits um die 1.000 Energiegemeinschaften.

Es wird derzeit viel darüber berichtet, dass Energiegemeinschaften vor allem dazu dienen, die BürgerInnen durch die aktive Beteiligung mit an Bord für die Energiewende zu holen. Für Gemeinden oder Unternehmen ist eines der Hauptargumente, sich als innovativ und zukunftsfähig zu positionieren. Gibt es aber auch einen realen wirtschaftlichen Nutzen für die Mitglieder einer Energiegemeinschaft?

 Roland Kuras: Im EAG ist zwar vorgeschrieben, dass der Hauptzweck einer EEG nicht der finanzielle Gewinn sein darf. Die EEG als solche darf ihren Mitgliedern aber sehr wohl wirtschaftliche Vorteile bringen. Und diese gibt es auf jeden Fall. Dazu zählt das Ankurbeln der regionalen Wertschöpfung durch die Umsetzung innerhalb einer Gemeinde um 1 bis 3 Prozent. Werden Erzeugungsanlagen gebaut, werden auch zusätzliche Arbeitsplätze in der Region geschaffen. Auf lange Sicht geht es vor allem auch um die Versorgungssicherheit und die Unabhängigkeit von Preisschwankungen am globalen Energiemarkt. Die Netzkosten können sogar um bis zu 60 Prozent reduziert werden. In der aktuellen Phase geht es aber um die Bewusstseinsbildung, die aktive Beteiligung und den Ausbau erneuerbarer Energiequellen.

Ab wann rechnet sich eine Energiegemeinschaft finanziell?

Roland Kuras: Eine EEG lebt von der Anzahl seiner Mitglieder. Es geht darum miteinander etwas füreinander zu tun. Man kann aber davon ausgehen, dass eine EEG ab ein paar hundert Mitgliedern (Firmen und private Haushalte) wirtschaftlich ist. Bis das so ist, dauert es aber einige Zeit. Hier liegt auch eine der derzeit größten Herausforderungen, für die es Lösungsansätze braucht. Ich erwarte, dass in den kommenden Monaten Anschubförderungen ins Leben gerufen werden, um die Startphase zu unterstützen und Gründungen anzukurbeln.

Ist selbst produzierter Strom nicht teurer als der, den wir vom Netz beziehen?

Roland Kuras: Ganz eindeutig: nein. Der günstigste Strom ist der, den ich auf dem eigenen Gelände produziere und auch dort direkt verbrauche. In einer EEG geht es darum, einen sinnvollen Mix zwischen Eigenverbrauch, Verbrauch in der Gemeinschaft und Strom von einem Energielieferanten zu finden.

Ist die Infrastruktur – sprich das Stromnetz – derzeit überhaupt schon gut genug ausgebaut, um individuelle Energiegemeinschaften zusätzlich zu versorgen?

Roland Kuras: Der Ausbau des Netzes stellt nur in einzelnen Bereichen ein Problem dar. Derzeit ist es eine viel größere Hürde, dass alle Abnehmer – Haushalte wie Unternehmen – einen intelligenten Zähler brauchen. Ein Smart Meter ist notwendig für die Abwicklung in einer EEG. Das Smart-Meter-Monitoring der E-Control zeigt jedoch auf, dass bislang nur ein Drittel der österreichischen Haushalte mit einem solchen Gerät ausgestattet wurden. Laut EU-Richtlinie hätte das bis Ende 2020 bereits bei 80 Prozent der Haushalte der Fall sein sollen. Dieses Ziel wurde nun erneut verschoben – und zwar auf 95 Prozent bis Ende 2024. Wichtig ist, dass die Betreiber von Energiegemeinschaften die gleiche Position wie Netzbetreiber und Energielieferanten bekommen. Nur so ist es möglich, dass der Datenaustausch voll automatisiert und wirtschaftlich funktioniert.

Wie gehe ich am besten vor, wenn ich eine Energiegemeinschaft gründen möchte?

Roland Kuras: Eigentlich ist es wie bei jeder Unternehmensgründung: Zunächst sollte man die Eckpunkte der Energiegemeinschaft mit Zielen und Aufgabenfeldern ausformulieren, einen Businessplan ausarbeiten und einen konkreten Projektplan aufsetzen. Im Zuge dessen gilt es einige fachliche Fragen zu klären, wie z.B. ob eine BEG gegründet werden soll oder eine EEG, ob regional oder lokal und auf welche Rechtsform gesetzt. Auf Basis einer fundierten Erstanalyse können dann die weiteren Schritte geplant werden. Wenn die Grundentscheidung für die Gründung gefallen ist, dann geht es an die Mitglieder Akquise, die Kontaktaufnahme zum Netzbetreiber, die Errichtung von Erzeugungsanlagen und den laufenden Betrieb.

Wie schätzen Sie als Energieexperte, der seit Jahren den Markt beobachtet, die Chance dafür ein, dass Energiegemeinschaften wirklich in die Breite kommen? Wird die dezentrale Energieversorgung irgendwann der Normalzustand sein?

Roland Kuras: Ich gehe davon aus, dass wir die ersten zwei Jahren noch einige Fragestellungen in der operativen Abwicklung mit allen Beteiligten – besonders den Netzbetreibern – lösen und optimieren müssen. Dabei ist ein aktiver Austausch und der Wille zur Optimierung von allen Beteiligten notwendig, da sonst die Prozessabwicklung zu langsam geht. Derzeit gibt es eine große Euphorie, überall liest man von Neugründungen und dem massiven Potential von EEG. Das ist sehr gut. Die Arbeit liegt aber im Detail. Da gibt es Prozesse, die es zu schaffen gilt und Rahmenbedingungen, die noch feingeschliffen werden müssen. Mit einer breiteren Umsetzung am Markt gehe ich im Jahr 2023 aus.

Zum Abschluss: Wie würden Sie die Zukunft der Energiegemeinschaften skizzieren?

Roland Kuras: Wir stehen gerade in den Kinderschuhen einer Entwicklung, die über die Energiezukunft der nächsten Generationen entscheiden wird. Für die Klimaneutralität braucht es einen klugen Mix aus zentralen und dezentralen Technologien. EEGs werden maßgeblich zur Wende beitragen – nicht umsonst sind sie derzeit eines der Lieblingsthemen in den Medien. In drei Jahren sind wir hoffentlich so weit, dass die Prozesse so vereinfacht sind, dass die Gründung schnell, unbürokratisch, ökologisch und wirtschaftlich abläuft. In fünf Jahren werden wir voraussichtlich so weit gekommen sein, dass EEGs erstmals eine energiepolitische Bedeutung haben. Und in 10 Jahren werden sie ein fixer Bestandteil in unserer Energielandschaft sein.

Um die Gründung von EEGs für Gemeinden, Unternehmen und private Haushalte so einfach wie möglich zu gestalten, haben power solution und accilium die zentrale Plattform ecoquadrat gegründet. Mit Servicepartnern wie dem Österreichischen Genossenschaftsverband (ÖGV), we act! und SPES Zukunftsakademie bietet ecoquadrat eine One-Stop-Shopping Lösung für Energie- und Mobilitätsgemeinschaften an. Interessierte finden Unterstützung in allen relevanten Angelegenheiten – von der Ideenfindung bis hin zum laufenden Betrieb. Weitere Informationen unter www.ecoquadrat.at

(Bildnachweis: Pixabay)